Create Dystopia – Minotauros Project im Interview

Was ist das Ziel von User-generated Cinema?

Wir wollen den Nutzern Mündigkeit zusprechen. Mündigkeit, kreativ mitzuwirken, die Filmentstehung zu beeinflussen, den Film zu ihrem eigenen zu machen, diesen zu verbreiten und damit einen attraktiven Effekt für sich selbst und das Gesamtprojekt zu generieren.
Das Internet bietet ein Plattform, die nicht nur für die Auswertung von Filmen neue Chancen bietet. Wir sind auf der Suche nach neuen Modellen, die Konsumenten, Künstler und Produzenten näher zusammenbringen. Sind professionelle kollaborative Filmprojekte möglich? Können wir in Zukunft Bearbeitungen, Mashups und Remixe anschieben und führt dies evtl. sogar zu einer ständigen Wiederbelebung des Contents. Das Konzept gliedert den Entstehungsprozess des Filmemachens in einzelne Schritte auf und setzt auf zwei Möglichkeiten der Nutzer-Beteiligung: Create und Vote. Ideen einbringen, Bewertungen abgeben und kollektiv Entscheidungen treffen.

Gibt es eine literarische Vorlage, die das Universum vorgibt in der das Projekt spielt?

Nicht direkt. Der erste gemeinsame Nenner ist das, was wir als "Cyberpunk" kennen und lieben - als Genre und Thema. Wenn man sich die aktuelle Debatte über das Urheberrecht anschaut, sind wir mit diesem Projekt gewissermaßen produzentische Cyberpunks. Der Film, an dem gearbeitet wird, heißt DYSTOPIA. Wie der Titel besagt, bewegen wir uns also in einer Dystopie, einer Welt, die das Gegenteil einer Utopie darstellt, in der die Menschheit ihre Lebensumstände zerstört hat. Eine Welt, die von unseren gesellschaflichen Ängsten erzählt; gleichzeitig aber einen großen Schauwert bietet und in der wir später bei der Gestaltung jedes Details viel Kreativität aus der Community verarbeiten können. Auf den Aufruf "Imagine a world where humanity is doomed to paralysis" hin, werden Filmideen eingereicht, die dann für alle weiteren Arbeitsschritte die Basis bilden.

Welche Partner unterstützen euch bei diesem Projekt?

Das Projekt entsteht in Koproduktion zwischen av medien penrose, Penrose Film, der Filmakademie Baden-Württemberg und in Kooperation mit dem UFA-Lab. Gefördert wurde das Projekt von der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, dem Medienboard Berlin Brandenburg und der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg. Das Institut für Medienfoschung der Universität Siegen führt eine begleitende Forschung zum Projekt durch, in der die Motivation der Teilnehmer im Fokus steht. Darüber hinaus gibt es eine lange Liste von Einzelpersonen, Filmemachern, Produzenten, Autoren, Künstlern und Institutionen wie das U-Institut für unternehmerisches Handeln und Denken, die UFA Fernsehproduktion und Youtube, die das Projekt unterstützen, fördern und beraten.

Aus den Ideen sollen mehrere Kurzfilme entstehen. Was ist der Vorteil gegenüber einem Langfilm?

User-generated Cinema bedeutet nicht nur, dass die Konzeption kollaborativ gestaltet wird. Dem Nutzer soll auch ermöglicht werden, das Material in seinem eigenen Sinne zu verwenden. Wir wollen, dass jeder Nutzer am Ende seinen ganz eigenen Kurzfilm schneidet. Daher spielte bei der Entscheidung auch die Überlegung eine Rolle, dass der Schnittaufwand für einen Kurzfilm ungleich geringer ist, als bei einem Langfilm. Aber das Wichtigste ist, dass wir mit dem Material, das wir zur Verfügung stellen, ein attraktives Angebot für Re-Cuts und Mashups schaffen. Das bedeutet, nicht nur einen Film zu drehen, den man nachschneiden kann, sondern alternative Erzählperspektiven, alternative Anfänge und Enden, sowie Schlüsselszenen etc. anzubieten. Daher verwenden wir das vorhandene Budget lieber dazu, eine vielzahl auch alternativ zu verwendender audiovisueller Bausteine zur Verfügung stellen.
Und nicht zuletzt: Dystopia ist ein webbasiertes Projekt und wir finden: Kurzfilm passt dazu. Das Wort "Cinema" in "User-generated Cinema" steht in erster Linie für hochqualitativen Content und die Liebe zum Medium, die wir vermitteln wollen.

Was hat es mit dem Content Pool auf sich? Was bietet er für Möglichkeiten?

Der Content Pool ist das Herzstück des Projekts, er ist unser Haupt-Produkt. Nach der kollaborativen Entwicklungsphase, in der jeder Nutzer sicherlich auch mal sehen musste, wie sich seine Idee gegenüber anderen nicht durchgesetzt hat, darf er nun selbst entscheiden, wie er den Film zu Ende bringt. Sei es, dass sich mehrere Nutzer in Gruppen zusammenschließen, oder dass man sich als einzelner das gesamte Rohmaterial oder vorgeschnittene und farbkorrigierte Szenenmodule herunterlädt, um diese am eigenen Rechner zu schneiden. Jeder, in dem ein Filmemacher steckt, soll hier entweder mit wenig Aufwand oder mit Liebe zum Detail seinen eigenen Film finalisieren können. Wir wollen sogar eine Online-Schnittfunktion direkt im Browser anbieten, damit auch Nutzer ohne Schnitterfahrung oder eigene Programme teilnehmen können.
Die Bandbreite an alternativem Material reicht dabei von zahlreichen alternativen Szenen über Musik, Sounds, EDLs, Effekte, Hintergründe, Offstimmen bis zu fertig gestellten Filmversionen, an denen die Nutzer nach Belieben Veränderungen vornehmen können. Jegliche Datei, die einem Profi oder Laien die eigenständige Weiterarbeit ermöglicht, soll nach Möglichkeit zum Download zur Verfügung stehen. Der Content Pool wird von uns professionell produziert, aber auch mit der Zeit durch Werke der Nutzer bereichert.

Was passiert mit den fertigen Filmen? Wo werden sie, außer im Web, noch zu sehen sein?

Es wird natürlich eine Nutzer-basierte Bewertung der Community-Filme geben, aus denen dann die besten hervorgehen. Wir haben bereits Verabredungen mit einem Kinoverleiher getroffen, die besten Versionen in einer Kinotournee durch Deutschland zu schicken. Wir sind auch gerade dabei, mit dem Fantasy Filmfest über eine Zusammenarbeit zu sprechen; das wäre sicher auch eine sehr interessante Plattform für die fertigen Filme. Darüber hinaus gibt es noch keine Deals mit Verwertern und wir hoffen natürlich, dass auch Fernsehsender sich trauen werden, die Filme auszustrahlen, obwohl sie bereits im Netz zum kostenlosen Download angeboten wurden. Dass dabei die Quote einbricht, ist nach aktuellen Erkenntnissen eher unwahrscheinlich - im Gegenteil.

Interview: Tobias Wengert

New Media Lecture
Samstag, 7. Juli, 17.30 – 18.00 Uhr
Ort: Literaturhaus Stuttgart – Konferenzzimmer
Eintritt: frei